Stichwort: Persönlichkeit

Bekannterweise ist Who is Who? ein Persönlichkeitslexikon. Gegründet wurde das Original Mitte des 19. Jahrhunderts von einem schottischen Verleger. Die in diesem Lexikon damals Erwähnten definierten gleichzeitig den Begriff der Persönlichkeit – enggeführt auf Menschen von Stand und Adel.

Zwischen den Buchdeckeln fanden sich Portraits des britischen Königshauses, des Hochadels, berücksichtigt wurden Richter, Offiziere und Politiker. Bedenkt man, dass sich die drei letztgenannten Berufsgruppen damals größtenteils aus dem Reservoir des Adels rekrutierten, war die Persönlichkeit definiert durch Herkunft und Privilegien, Besitz und Befehlsgewalt. Gegenüber diesen sozusagen harten, objektiven Merkmalen waren weiche, subjektive (z.B. Charaktereigenschaften) von untergeordneter Bedeutung.

Das machte sie respektabel. Es begründete in ihnen die Erwartung, dass man zu ihnen hochschaute und gab ihnen das Recht, auf andere herabzublicken. Solche Gesten der („natürlichen“) Überlegenheit auf der einen und Ergebenheit auf der anderen Seite wurden in tradierten Sprachmustern kommuniziert und in der Begegnung zwischen den Ungleichen in ritualisierten Gesten ausgetauscht. Die Grenzen des Kreises der Persönlichkeiten waren kaum durchlässig. Die Insider traten gegebenenfalls in Konkurrenz zueinander um höhere Plätze in der Hierarchie, Wettbewerber von außen mussten sie nicht oder kaum fürchten; denn dass Persönlichkeit erworben und anerkannt (auch wieder verloren und aberkannt!) werden kann durch Können, durch den Nachweis von Fähigkeiten und erbrachten Leistungen – diese Tatsache setzte sich erst allmählich mit dem Aufstieg des Bürgertums durch. Neben die alten traten neue Eliten mit zugehörigen Erkennungsmerkmalen.

Die Persönlichkeitsforschung arbeitet mit fünf Persönlichkeitsfaktoren, den sog. Big Five, um das Geheimnis der Persönlichkeit zu entschlüsseln. Diese Pfeiler, auf denen unser Charakter ruhe, sind: Neurotizismus (Stimmungslagen, Selbstzweifel), Extravertiertheit, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Die Forschung fördert also einen ganz anderen Persönlichkeitsbegriff zutage als der im Who is Who des 19. Jahrhunderts erfasste. Anerkennung und Sympathie schenken wir Menschen, von denen wir sagen, sie machten auf uns einen offenen (nicht engstirnigen), verträglichen (nicht selbstherrlichen) und gewissenhaften (nicht opportunistischen) Eindruck – sie respektieren wir gerne. Wir nehmen sie in gewisser Weise wahr als (uns) wohltuend und in sich ruhend.

Weil Persönlichkeit abstrakt bedeutet, dass jede Person aus einem relativ festen Ensemble von Eigenschaften besteht, denen bestimmte Vorlieben, Versuchlichkeiten und Verhaltensweisen zugeordnet werden können, werden Persönlichkeitsprofile mit Hilfe von Algorithmen zuverlässig hochgerechnet und an Werbung und Politik verkauft. Wer sich im virtuellen Raum bewegt weiß, dass Persönlichkeit quantifizierbar ist: Wer es auf sehr viele Follower bringt – als Influencer*in etwa – stößt bei diesen jedenfalls auf Begeisterung. Einfluss macht Persönlichkeit.

Zu schillern oder umstritten zu sein, muss dem Status einer anerkannten Persönlichkeit übrigens nicht abträglich sein. Siehe Donald Trump. Rund 70 Millionen Republikaner scheinen ihn immer noch dafür zu halten. Darf ich schlussfolgern: Persönlichkeit liegt im Auge des Betrachters?

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