Fürchten, achten, ehren Kleine biblische Theologie des Respekts

Respekt unter Menschen sowie zwischen Menschen und Gott kann eingeflößt oder aus freien Stücken gezollt werden. Von beidem weiß die Bibel ausführlich zu erzählen – auch wenn das Wort „Respekt“ gar nicht vorkommt.

Am 1. Juni 2020 verkündete der damalige US-Präsident Donald Trump gegenüber der Presse im Weißen Haus seinen Wunsch, nun „einem ganz, ganz besonderen Ort meinen Respekt zu erweisen“. Anschließend führte er den Journalisten-Tross zur Washingtoner „Präsidentenkirche“ St. Johns, vor der er sich demonstrativ mit einer Bibel in der Hand ablichten ließ.

Foto: Shealah Craighead, The White House, Public Domain

Den Weg dorthin hatte er sich gegen einige Hundert friedliche Demonstrant*innen mit Tränengas und Gummigeschossen freiräumen lassen. Sie erinnerten an den gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd während eines brutalen Polizei-Einsatzes in Minneapolis wenige Tage zuvor. Trump kündigte an, den im Anschluss daran aufgekommenen Protesten und Unruhen mit „Abertausenden schwer bewaffneten Soldaten“ Einhalt zu gebieten.

Gott fürchten und lieben…

Im Buch, das Trump nicht in der Haltung eines Lesers, sondern in der Pose eines Verkäufers in die Kameras hielt, kommt das Wort „Respekt“ nicht vor. Weder in den hebräischen noch in den griechischen Grundtexten der Bibel gibt es ein direktes Äquivalent des Begriffs. Die meisten Bibelübersetzungen umschreiben das, was wir mit „Respekt“ meinen, denn auch durch andere Worte wie z.B. Ehrfurcht, Scheu, Achtung oder Ehrerbietung. Dennoch spielt Respekt auch nach heutigem Verständnis in beiden Teilen der Bibel und damit im jüdischen wie im christlichen Glauben eine wichtige Rolle. Denn so sehr es auch den Menschen innerhalb der Bibel immer wieder am nötigen Respekt mangelt, so durchgehend wird dieser angemahnt: als Respekt gegenüber Gott, den der Mensch „lieb haben“ und „fürchten“ soll (5. Mose 10,12), wie auch gegenüber seinen Mitmenschen, die er lieben soll „wie sich selbst“ (3. Mose 19,18; Mk 12,31). Was das im Alltag bedeuten kann, lässt sich leider bei Trump kaum erkennen – dafür aber an einem anderen öffentlichen Ereignis, das zufälligerweise auf den Tag genau sieben Jahre vor dessen Auftritt vor der Präsidentenkirche stattfand.

… wie sich selbst und seinen Nächsten

Am 1. Juni 2013 trafen im DFB-Pokalfinale in Berlin der FC Bayern München und der VfB Stuttgart aufeinander. Unter dem Motto „Respekt (er)leben“ fand anlässlich eines solchen Finales erstmals ein ökumenischer Gottesdienst mit Fans beider Mannschaften statt. Als das „Gegenteil von einem bedenkenlosen Egoismus“, beschrieb der damalige EKD-Ratsvorsitzende und bekennende Fußballfan Nikolaus Schneider Respekt in seiner Predigt: „Eine respektvolle Lebenshaltung verbietet es nicht, siegen zu wollen, um den Sieg zu kämpfen und sich am Sieg zu erfreuen. Eine respektvolle Lebenshaltung verbietet es aber durchaus, Gegner bewusst zu verletzen, mit faulen Tricks die Regeln der Fairness auszuhebeln oder Schiedsrichter, Ordnungskräfte und Fans einer gegnerischen Mannschaft zu schmähen oder gar anzugreifen.“

Schmähungen, wie sie Schneider hier im Visier hat (und wie sie Trump gegenüber politischen Gegnern während seiner Amtszeit regelmäßig produzierte), treffen ausländische Spieler*innen in deutschen Stadien Woche für Woche. Kundige Bibelleser*innen werden solche Beleidigungen gegen Andersdenkende und Verleumdungen von Gegnern nicht nur als Verletzungen der Menschenwürde, sondern auch als Angriff auf die Ehre Gottes selbst verstehen – weshalb die Bibel dies nicht nur als unmoralisch kritisiert, sondern dezidiert „Sünde“ nennt („Wer seinen Nächsten verachtet, versündigt sich“, Spr 14,21, vgl. Mt 5,22). Das gilt wie in der politischen und sportlichen auch in der medialen Arena – wenn z.B. im Netz gegen Andersdenkende oder Anderslebende gehetzt wird. Nach christlichem Verständnis wird durch menschenverachtendes Verhalten neben einer Person immer auch Gott getroffen.

Respekt zwischen Gott und Mensch

Der Ursprung dieses Gedankens liegt in der Schöpfungsgeschichte, in der Gott den Menschen als sein Gegenüber und „Ebenbild“ (1. Mose 1,17) erschafft. Dies zeugt von dem Respekt, den er ihm – „als Mann und Frau“ –  entgegenbringt, vor allem Respekt, den er umgekehrt vom Menschen erwartet. Und wenn der Mensch wenige Verse später mit dem Auftrag versehen wird, die Erde zu „bebauen und bewahren“ (1. Mose 2,15), wird ihm damit zugleich Achtung vor der göttlichen Schöpfung abverlangt.

Gott erweist dem Menschen Respekt, vor allem Respekt, den er von ihm erwartet.

Schon auf den ersten Seiten lassen es freilich Adam und Eva an Respekt gegenüber Gott fehlen, indem sie gegen sein Verbot vom Baum der Erkenntnis essen. Wenig später, erschlägt Kain seinen Bruder Abel und zeigt, von Gott zur Rede gestellt, nicht etwa Reue, sondern erwidert diesem frech ins Gesicht: „Soll ich etwa meines Bruders Hüter sein?“ (1. Mose 4,9). Von der „Kunst der gegenseitigen Wertschätzung“, wie der katholische Pater Mauritius Wilde Respekt umschreibt (Vier-Türme-Verlag, 2009), ist hier wenig zu spüren, und auch im Folgenden liest sich die Bibel auf weite Strecken eher wie eine Geschichte der menschlichen Respektlosigkeit.

Respekt im hierarchischen Gefälle

Bei alledem ist Respekt schon in der Bibel eine zwiespältige Angelegenheit: Er kann eingeflößt und abgenötigt oder aus freien Stücken erwiesen und gezollt werden. Respekt als (Ehr-)Furcht ist meist mit einem Abhängigkeitsverhältnis bzw. einem sozialen Gefälle verbunden. So erwartet z.B. der Weinbergbesitzer in Mk 12, dass die bösen Weingärtner davor zurückscheuen, seinen Sohn ebenso wie die zuvor von ihm gesandten Knechte zu töten – womit er allerdings falsch liegt. – Respekt, der anderen als (Hoch-)Achtung entgegengebracht wird, ist hingegen weniger an einen gesellschaftlichen Status als an persönliche Eigenschaften, Verdienste oder Tugenden gebunden.

Ehrfurcht vor Gott, Ehrerbietung gegenüber Menschen

(Ehr-)Furcht wird in der Bibel vor allem gegenüber Gott selbst verlangt (5. Mose 6,13; 10,12), auch als „Furcht Gottes“ (2. Sam 23,3; 2. Kor 7,1) bzw. „Gottesfurcht“ (Ps 112,1; Sir 1,43). Auch wenn hier die Größe Gottes, die Furcht und Schrecken einflößen kann, mit im Spiel ist, geht es dabei nicht um Angst vor Gott, sondern um den Respekt vor seiner Heiligkeit. Dieser Respekt gilt auch den göttlichen Geboten (Ps 119,155) sowie dem Ort, an dem Gott auf Erden „wohnt“, seinem „Heiligtum“ (3. Mose 26,2) bzw. dem Tempel (Mk 11,17). Ausdruck des Respekts an solchen Orten ist z.B. das Ausziehen der Schuhe (2. Mose 3,5; Jos 5,15).

Zu ehrende „Respektspersonen“ sind in der Bibel z.B. die Eltern (Vater wie Mutter, 2. Mose 20,12) und generell „die Alten“ (3. Mose 19,32), aber auch der König (2. Sam 14,4; Dan 6,14; 1. Petr. 2,17) sowie religiöse Lehrer und Würdenträger wie im NT die Pharisäer (Lk 11,43) oder die Hohenpriester (Apg 23,4). Auch Jesus werden vielfach entsprechende Respektsbezeugungen entgegengebracht (sowohl von einzelnen, z.B. durch die Salbung mit Öl, wie kollektiv, z.B. als Huldigung beim Einzug in Jerusalem).

Respekt gegenüber allen Menschen

Gruppen am unteren Ende der sozialen Skala wurden auch zu biblischer Zeit als weniger respektabel betrachtet. Dies betraf vorrangig Frauen, v.a. wenn sie ehelos oder unfruchtbar waren, und sozial Deklassierte wie Mägde, Sklaven und Knechte. Wenn der 1. Petrusbrief ausgerechnet diese zu Respekt gegenüber ihren ›Herren‹ aufruft (1. Petr 2,18–3,6), klingt das in unseren Ohren eher nach Repression. Gleichzeitig findet sich aber gerade dort auch die Forderung nach Respekt gegenüber allen Menschen (1. Petr. 2,17).

Der Aufruf zu Respekt gegenüber den ›Herren‹ klingt in unseren Ohren eher nach Repression.

Vor allem Jesus hat sich mit seiner demonstrativen Zuwendung zu Angehörigen sozialer Randgruppen wie Zöllnern (Mt 9,11; Lk 19) und Huren (Mt 21,32) über gesellschaftliche Respektsregeln hinweggesetzt. In seiner Gemeinschaft mit diesen Menschen spiegelt sich die Achtung Gottes für jeden Menschen, unabhängig von seiner sozialen Stellung und möglichen moralischen Verfehlungen, ebenso wie die Solidarität Gottes mit Menschen, die die Erfahrung mangelnden Respekts machen. Dementsprechend betont Jesus selbst vor seiner Jüngerschaft: „Wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat“ (Lk 10,16). Genau wegen dieser Haltung bekommt Jesus selbst die tödliche Verachtung seiner Umgebung zu spüren, die in seiner Hinrichtung und Verspottung am Kreuz gipfelt (Mt 27,39-44).  Auch in diesem Fall trifft die Respektlosigkeit freilich nicht nur einen Menschen, sondern zugleich Gott selbst: „Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat“ (Joh 5,23).

Gottes Respekt vor dem Menschen

Mit Jesu Zuwendung zu den Ausgestoßenen nimmt die Bibel den Ton wieder auf, der schon in der Schöpfungsgeschichte angeschlagen wurde: Gottes Respekt gegenüber seinem Geschöpf und damit gegenüber allen Menschen. „Was ist der Mensch, dass du ihn groß achtest“, fragt Hiob im Gespräch mit seinen Freunden (Hi 7,17) und „was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ der Beter in Psalm 8. Solche Gebete gehören zur hohen „Kunst der gegenseitigen Wertschätzung“ zwischen Gott und Mensch. Bei alledem kann und soll nicht unterschlagen werden, dass es auch in der Bibel viele diskriminierende Stellen und Äußerungen grober Verachtung gibt. Auch in der Bibel versteht sich der Respekt nicht von selbst, und von der Solidarität Gottes mit respektlos behandelten Menschen bis zur Solidarität von Menschen untereinander und mit dem respektlos behandelten Gott ist es ein weiter Weg.

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