Suffizienz! Genügsamkeit als gesellschaftliche Strategie für mehr Klimaschutz

Suffizienz und Genügsamkeit sind sperrige Wörter und zugleich auch vielseitig unbeliebt. Dabei ist das Thema aktueller denn je, denn Genügsamkeit kann sowohl das eigene Leben bereichern als auch eine wichtige gesellschaftliche Strategie sein, etwa um Klimaziele zu erreichen.

Weil der Begriff der „Suffizienz“ im alltäglichen Sprachgebrauch kaum vorkommt, stolpern wir schon über das Wort an sich. Dabei lässt es sich in einer ersten, sehr brauchbaren Übersetzung mit Genügsamkeit erklären. Suffizienz stammt vom lateinischen sufficere, was „ausreichen“ bedeutet. Im Anwendungsbereich der Klimapolitik könnte es z.B. mit „Energiesparen“ übersetzt werden; die Bedeutung von Suffizienz geht allerdings darüber hinaus und eine genauere Abgrenzung lohnt sich. Denn Energiesparen kann man beispielsweise auch über ein sparsameres Auto, über eine bessere Fassadendämmung oder über einen effizienteren Wasserkocher. All diese Beispiele sind jedoch nicht gemeint. Suffizienz adressiert viel mehr den Schritt davor: nämlich den Energiebedarf erst gar nicht entstehen zu lassen.

Auch für die Politik wäre dies ein großer Ansatzpunkt. Doch hier ist der Begriff, beziehungsweise vielmehr das Konzept, sehr unbeliebt. Grund ist, dass es nicht selten sehr kritisch gesehen wird, wenn Politik Vorschriften oder auch nur Handlungsempfehlungen für das alltägliche Verhalten der Menschen macht. Dies wird oft als Bevormundung empfunden, so dass Parteien dieses Thema gerne völlig außen vor lassen. Es wundert daher nicht, dass Suffizienz in politischen Debatten wenig vorkommt und wenn doch, sehr kontrovers darüber gestritten wird.

Suffizienz kommt vor Effizienz und Konsistenz

Jedoch ist Genügsamkeit in der Sache sehr wichtig. Beim Blick auf das Thema Klimaschutz im Bereich der Energie können drei Stufen unterschieden werden: erstens Suffizienz, zweitens Effizienz und drittens Konsistenz. Konsistenz meint die Strategie, die notwendige Energie auf eine nachhaltige Art und Weise zu produzieren. Beim Klimaschutz wäre dies die Produktion durch erneuerbare Energien. Effizienz dagegen meint die Bereitstellung eines bestimmten Zustandes mit möglichst geringem Einsatz von Ressourcen. Beim Klimaschutz wäre dies zum Beispiel die Erzeugung einer bestimmten Raumlufttemperatur mit möglichst wenig Einsatz von Energie. Konkret kann dies durch eine bessere Dämmung des Gebäudes erreicht werden. Die dritte Strategie ist die schon beschriebene Suffizienz. Hierbei ginge es im geschilderten Beispiel um die Senkung der Raumlufttemperatur oder darum, dass sich Menschen mit kleineren Räumen (beziehungsweise weniger Wohnraum pro Person) zufriedengeben. Durch Suffizienz würden schon von vornherein die Bedarfe sinken. Die Strategien haben insofern eine Hierarchie: Zunächst sollten Bedarfe verringert werden, beziehungsweise sie sollten gar nicht entstehen (Suffizienz). Dann sollte versucht werden, die vorhandenen Bedarfe mit weniger Einsatz zu erfüllen (Effizienz). Schließlich ist anzustreben, die Produktion von Energie wie zum Beispiel Wärme nachhaltig zu gestalten (Konsistenz).

Auf individueller Ebene fallen einem daher leicht weitere Beispiele ein, wo ein suffizienterer Lebensstil möglich wäre. Neben dem Wohnen ist zum Beispiel auch an Mobilität zu denken. Wenn man die Notwendigkeit von Fahrstrecken vorab prüft, um gegebenenfalls den ein oder anderen Weg erst gar nicht auf sich zu nehmen, kann sich der Mobilitätsbedarf reduzieren. Oder beim Thema Ernährung leuchtet es ein, dass ein seltenerer Konsum von Obst aus weit entfernten Ecken der Welt dem Klimaschutz zuträglich wäre, da der dafür benötigte Flugverkehr erst gar nicht entsteht – und jeder Flugkilometer, der nicht entsteht, ist ein guter Kilometer, wie uns die Hierarchie von oben nahelegt.

Politik und Gesellschaft sind gefordert

Doch es wird auch schnell klar, dass individuelle Maßnahmen ihre Grenzen haben und es wichtig ist, auch über politische Maßnahmen und Veränderungen im wirtschaftlichen Bereich nachzudenken. So gibt es im kommunalen Bereich seit langem die Diskussion über eine Verringerung des Flächenverbrauchs. Auf lange Sicht kann nur eine zusätzliche Flächenversiegelung von null erstrebenswert sein, denn jede Flächenversiegelung darüber hinaus bewirkt eine Zunahme der insgesamt versiegelten Flächen. Wo das auf Dauer hinführt, ist leicht abzusehen: zu einer vollständig versiegelten Welt. Dennoch tun sich Gemeinden bei diesem Thema schwer, und selbst Flächenversiegelungsziele jenseits von (netto)null werden vielerorts nicht eingehalten. Ein anderes Beispiel aus dem wirtschaftlichen Bereich ist der Ressourcenverbrauch allgemein, den es zu verringern gilt.

Suffizienz in der Ökonomie

Taucht man in die Geschichte des ökonomischen Denkens ein, ist der Gedanke der Suffizienz immer wieder zu finden. Beispielsweise prognostizierte John Maynard Keynes im Jahr 1930, dass wir einmal in einer Welt leben würden, in der wir gar nicht mehr an Wachstum interessiert seien. In dem Essay „Economic Possibilities for Our Grandchildren“ führt er aus, welche ökonomischen Möglichkeiten er sich für die Zeit in 100 Jahren vorstellt und was diese für die Gesellschaft bedeuten. So schreibt einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts: „Ich sehe uns daher frei, zu einigen der sichersten und gewissesten Grundsätze der Religion und der traditionellen Tugend zurückzukehren: dass Geiz ein Laster ist, dass Wucher ein Vergehen ist und die Liebe zum Geld verabscheuungswürdig ist, dass diejenigen am wahrsten auf den Pfaden der Tugend und der gesunden Weisheit wandeln, die am wenigsten an den morgigen Tag denken.“ Eine bemerkenswerte Prognose – erst recht für einen Ökonomen. Doch trotz des heute eingetroffenen technischen Fortschritts kann man nur staunen, wie weit diese Vorstellung an der heutigen Welt vorbeigeht und wie wenig wir von Suffizienz verstehen.

Der Homo Oeconomicus hat nichts von Genügsamkeit.

Limitierungen haben es in den Wirtschaftswissenschaften allein aufgrund des herangezogenen Menschenbildes schwer. Denn in der Regel wird ein Menschbild zugrunde gelegt, das davon ausgeht, dass mehr Konsum auch besser und deshalb anzustreben ist. Ein solcher sogenannter Homo Oeconomicus ist glücklicher, wenn er mehr hat – so die Annahme. Genügsamkeit kennt er nicht, beziehungsweise er hat nichts davon. Warum sollte er sich also begrenzen? Nur dann, wenn er es muss. Es gibt viele Debatten allein über die Frage, ob ein solches Menschenbild zutreffend oder zeitgemäß ist, zumindest in einer Überflussgesellschaft wie der unseren. Die Frage ist, ob maximaler Konsum wirklich auch maximales Glück bedeutet. Gesellschaft, Gemeinschaft, Freundschaften, Beziehungen und Familie, Gesundheit, Religion und vieles mehr werden dabei außer Acht gelassen, sodass an einer derartigen Vereinfachung des Menschen, um ihn in ökonomischen Modelle abbilden zu können, zurecht Kritik geübt wird.

Begrenzte Ressourcen zwingen zur Suffizienz

Doch selbst wenn man nicht einen solchen maßlosen Menschen annimmt, gibt es weitere Gründe, wieso auch in den Wirtschaftswissenschaften über Suffizienz nachgedacht werden sollte. So ist Umwelt offensichtlich ein begrenzender Faktor. Dieser floss in der Ökonomik anfangs als „Boden“ in die Überlegungen mit ein und war zunächst eine relevante Größe. Umwelt, beziehungsweise Boden, geriet dann aber immer mehr ins Hintertreffen und verschwand zunehmend aus den Produktionsfunktionen der Modelle. Als zentrale Produktionsfaktoren der Volkswirtschaft blieben dann nur noch Kapital und Arbeit. Menschliche Arbeitsleistungen sind zwar auch begrenzt, mit Kapital war aber eine Größe gefunden, die sich scheinbar unbegrenzt steigern lässt – etwa durch mehr Maschineneinsatz oder weitere Produktionsstätten. Eine wirkliche Begrenzung des Gesamtsystems war damit entfallen und ein genügsamer Lebensstil jenseits jeglicher Notwendigkeiten.

Suffizienz kehrt in den wissenschaftlichen Diskurs zurück.

Erst die Umweltprobleme und das wachsende Umweltbewusstsein des 20. Jahrhunderts brachten Umwelt, Klimawandel und Ressourcenverbrauch wieder zurück in die ökonomische Betrachtung. So wird heute das Wechselspiel von Wirtschaft und Umwelt beziehungsweise Klima sehr ausführlich wieder mitgedacht – zumindest bei Modellen zum Klimawandel. Auch Suffizienz kehrt in den wissenschaftlichen Diskurs zurück. Im Bericht des Weltklimarats (IPCC) wird 2022 dem Thema Suffizienz beispielsweise so viel Raum eingeräumt wie in keinem der vorherigen fünf Berichte und es wird als eigene Maßnahmenkategorie ausführlich behandelt (IPCC (Hrsg.): Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change, the Working Group III contribution to the Sixth Assessment Report (Intergovernmental Panel on Climate Change), Summary for Policymakers, 2022). Das lässt hoffen.

Zwischen Freiheit und Genügsamkeit

Die Wissenschaften sind damit der Politik womöglich einen Schritt voraus. Vor zehn Jahren hat die Debatte um den „Veggie Day“ exemplarisch gezeigt, wie sensibel staatlich verordnete Einschnitte empfunden werden können. Eine Partei forderte im Bundestagswahlprogramm, dass öffentliche Kantinen zum Vorreiter für vegetarisches und veganes Essen werden sollten. In diesem Zuge kam die Idee auf, an einem Tag in der Woche gar kein Fleisch anzubieten. Obwohl es sich hier nur um öffentliche Kantinen handelte und nur um einen Tag in der Woche, entstand eine hitzige Debatte, die eben jene Partei viele Sympathien kostete.

PolitikerInnen scheinen das Thema der Suffizienz nicht erst seit dieser Kontroverse im Jahr 2013 ganz vermeiden zu wollen. Weil Suffizienz oft als Gegenspieler zur Freiheit gesehen wird, findet sie gesellschaftlich viele WidersacherInnen. Tatsächlich besteht zwischen den beiden Größen Freiheit und Genügsamkeit ein Spannungsfeld. Das bedeutet aber nicht, dass man Suffizienz-Maßnahmen als ungerechtfertigte Vorschriften abtun kann, folgt eine solche Begrenzung doch gerade aus ethischen Überlegungen: Denn die eigene Freiheit muss dort aufhören, wo die Freiheit des anderen anfängt. Und die Freiheit der nachfolgenden Generationen kann nur dann gewahrt werden, wenn diese klimatische Ausgangsbedingungen antreffen, mit denen ein gutes Leben möglich ist.

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