Christian Thielscher: Wirtschaft und Gerechtigkeit Was ist gerecht und wie beeinflussen Wirtschaftstheorien die Verteilung von Gütern?

Springer Gabler, 2022, IX, 268 S., 19,99 EUR, E-Book 14,99 EUR

Egal, ob es um Löhne, Hungersnöte, Sozialleistungen oder Folgen der Klimakrise geht: In vielen Bereichen treffen ökonomische Zusammenhänge und Vorstellungen von Gerechtigkeit aufeinander. Es liegt also nahe, dass Christian Thielscher die Sphären Wirtschaft und Gerechtigkeit miteinander ins Gespräch bringt. Sein Ziel ist dabei ambitioniert: Er möchte eine präzise, (ökonomisch) anwendbare und naturwissenschaftlich fundierte Gerechtigkeitstheorie ausarbeiten.

Im ersten Teil widmet sich Thielscher aber zunächst recht ausführlich neoklassischer Wirtschaftstheorie. Dabei macht er deutlich, dass dort Gerechtigkeitserwägungen praktisch ausgeschlossen bleiben, da „die unsichtbare Hand des Marktes“ ja per definitionem alles gerecht zuteile. Allerdings werde dies der Realität – v.a. wegen der Komplexität menschlichen Verhaltens – nicht gerecht, weshalb es neuer wirtschaftswissenschaftlicher Modelle bedürfe. Im zweiten Teil entwirft er ein Modell von Gerechtigkeit als der moralischen Verteilung von Gütern. Wo Gerechtigkeit eine Rolle spielt, gebe es immer eine Seite („Machthaber“), die einer anderen („Empfänger“) etwas zuteile. Als gerecht gälten Zuteilungen, die auf Bedarf, Leistung oder Vertrag Rücksicht nähmen; diese Trias sieht Thielscher durch medizinische Forschung nachgewiesen. Im dritten Teil markiert er dann, wie das skizzierte Gerechtigkeitsmodell helfe, vor allem ökonomische Gerechtigkeitsprobleme zu entscheiden.

Insgesamt ist der große Anspruch des Buches doch etwas zu umfassend. So stellt sich etwa die Frage, ob die von Thielscher reklamierte präzise Füllung des Gerechtigkeitsbegriffs überhaupt ein mögliches Resultat ist: Gehört es nicht zum Kern dieses Begriffes, dass er strittig bleibt und zu Diskussionen und Aushandlungsprozessen Anlass gibt? Naturwissenschaftliche Fixierungen helfen nur auf den ersten Blick weiter. Zugleich bringt Thielscher verschiedene Aspekte von Gerechtigkeit auf anregende Weise in eine Ordnung, die tatsächlich für die Analyse ökonomischer Zusammenhänge hilfreich erscheint. Und nicht zuletzt kann man viele interessante Probleme in Theorie und Praxis unseres Wirtschaftssystems kennenlernen.

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