„Gegenüber politischen Heilsversprechen ist Skepsis angebracht“ Christliche Freiheit und politischer Liberalismus

Wo treffen sich politischer Liberalismus und Christentum? Über Freiheit, die Rolle des Christentums beim Entstehen der liberalen Demokratie und die Aufgabe der Kirchen im gesellschaftlichen Diskurs sprachen wir mit dem Geschäftsführer der „Christlichen Liberalen“.

Zunächst: Wer sind eigentlich die „Christlichen Liberalen“? Was ist Ihr Anliegen?

Wir sind ein eingetragener Verein, in dem sich Mitglieder der FDP – bisher vor allem aus Baden‑Württemberg – zusammengeschlossen haben, die sich ganz bewusst auch als Christen verstehen. Der Verein wurde vor etwa zehn Jahren gegründet. Nach einigen Diskussionen bemühen wir uns zurzeit darum als „Vorfeldorganisation“ der FDP anerkannt zu werden, als welche wir uns dann auch stärker in den Parteigremien einbringen können.

Das Anliegen zeigt sich eigentlich schon im Namen: Es geht darum, auf der einen Seite in die FDP oder überhaupt in den Liberalismus hinein, auf die christlichen Wurzeln des Liberalismus aufmerksam zu machen. Und auf der anderen Seite geht es darum, gegenüber den Kirchen liberale Aspekte des Glaubens hervorzuheben. Wir wollen also in beide Bereiche, die Politik und die Kirchen, hineinwirken und das Verständnis für gemeinsame Anliegen vergrößern. Das versuchen wir zum Beispiel über Vorträge oder Zeitschriftenartikel.

Wo liegen denn die christlichen Wurzeln des Liberalismus?

Die Grundlagen des Liberalismus liegen im angelsächsischen Bereich, wo man auch seine christliche Prägung gut nachvollziehen kann: Im England des 17. und 18. Jahrhunderts gab es eine Reihe von „Dissenters“, also von protestantischen Gruppierungen, die mit der anglikanischen Kirche nicht einverstanden waren. In der Diskussion und Auseinandersetzung mit diesen „Abweichlern“ bildete sich dann die „Broad Church Party“, die innerhalb der Anglikanischen Kirche für eine Öffnung gegenüber diesen Gruppen plädierte. Diese christlichen Strömungen haben dann wesentlich zur Bildung der politischen Strömung der „Whigs“ beigetragen, den Liberalen im Parlament, die für Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Andersdenken eingetreten sind. Schon geschichtlich hat der politische Liberalismus von daher ganz klar starke christliche Wurzeln – auch wenn das vielen in der FDP vielleicht nicht so klar ist.

Wie ist überhaupt „der Stand“ des Christentums in der FDP?

Nun, der ist eigentlich besser, als es in der Öffentlichkeit häufig erscheint. Es verstehen sich wirklich viele Parteimitglieder als Christen und sind auch häufig mit ihrer Kirchengemeinde sehr verbunden. In der Öffentlichkeit werden allerdings die kirchenkritischen Äußerungen sehr viel stärker beachtet. Sie beherrschen das Bild, obwohl die FDP in der Breite dem Christentum gegenüber viel aufgeschlossener ist, als man so gemeinhin annimmt. Bei den „Jungen Liberalen“ gibt es dann noch das spezielle Problem, dass der Vorstand etwa alle zwei Jahre komplett wechselt und jeder neue Vorstand meint, er müsse ein neues Kirchenpapier rausbringen.

Und wo sehen Sie umgekehrt das liberale Moment im christlichen Glauben?

Der Ansatzpunkt liegt da nach meiner Überzeugung besonders in der evangelischen Kirche auf dem Feld der Rechtfertigungslehre. Jeder Mensch kennt sein eigenes Versagen und die Verzweiflung über das eigene Scheitern. Gerade die protestantische Antwort darauf ist die Botschaft der bedingungslosen Annahme des Menschen durch Gott. In der Folge ergibt sich daraus auch die Erkenntnis, dass das „Heil“ oder ein „glücklicher Zustand“ nicht vom Menschen abhängt, sondern eben von der Gnade Gottes. Das ist meines Erachtens ein Gedanke, wo sich ein christliches und ein liberales Anliegen treffen: Es liegt nicht in der Hand des Menschen, das Reich Gottes durch politisches Handeln herzustellen. Gegenüber umfänglichen politischen Heilsversprechen ist Skepsis angebracht. Die Gemeinsamkeit dieses Anliegens wollen wir den Kirchen nahebringen.

Wenn Sie sich damit eine gewisse politische Wirksamkeit der Kirchen wünschen: Die Geschichte des Christentums hat doch auch immer wieder gezeigt, wie problematisch solche Einflussnahme sein kann. Wie lassen sich solche Abwege vermeiden?

Auch für die Kirche gilt natürlich in gewissem Sinne, was für die Politik gilt: Wenn sie sich selbst an die Stelle Gottes setzt und ein Paradies auf Erden herstellen will, wird es problematisch. Eine besondere Herausforderung ist das für das Christentum auch, weil es Impulsen aus der griechischen Philosophie folgend die Wahrheitsfrage an zentraler Stelle in sein eigenes Denken aufgenommen hat. Das finde ich eigentlich sehr gut, birgt aber immer zugleich die Gefahr der Intoleranz gegenüber anderen Überzeugungen, die dem zuwiderlaufen, was man selbst für wahr hält. Hier ist eine gewisse Liberalität sicher eine große Errungenschaft der Neuzeit.

Gleichzeitig ist genau das Entstehen der Glaubensfreiheit und anderer Freiheitsrechte ganz wesentlich auf christliche „Vorkämpfer“ zurückzuführen. Im Besonderen kann man das zum Beispiel an der Abschaffung der Sklaverei beobachten. Dort hat sich das Christentum sehr positiv auf die Entwicklung der Gesellschaft ausgewirkt und ich bedauere es ein wenig, dass diese Punkte in der christlichen Verkündigung zu kurz kommen. Darauf könnte man immer wieder hinweisen, was die westliche Gesellschaft dem Christentum da zu verdanken hat.

Bei allem, was Sie bisher zum Verhältnis von Christentum und Politik gesagt haben, spielen Freiheitsrechte eine große Rolle. Was halten Sie in diesem Zusammenhang davon, wenn andere sich bei ihren politischen Forderungen zum Beispiel auf das „Gebot der Nächstenliebe“ berufen?

Wir sehen die Bedeutung des Christentums für die Politik besonders dort, wo es um die Grundlagen eines liberalen, demokratischen Staates geht. Er soll den Bürgern ein möglichst hohes Maß an Freiheit geben und diese Freiheit sichern. Im Zusammenhang damit ist außerdem die Gleichheit aller Menschen wichtig, weil nur unter dieser Voraussetzung tatsächlich allen Bürgern die gleichen Rechte zugebilligt werden können. Die christliche Überzeugung, dass der Mensch von Gott als frei und gleich geschaffen ist, korreliert damit und hilft, unsere Demokratie zu festigen. Schließlich ist auch die Nüchternheit, die in der christlichen Zurückhaltung gegenüber politischen Heilsversprechen zum Ausdruck kommt, wichtig an dieser Stelle.

Demgegenüber geht es, denke ich, bei „Nächstenliebe“ oder „Barmherzigkeit“ nicht um die Grundvoraussetzungen der freiheitlichen Demokratie, und sie sind auch keine wirklich politischen Forderungen. Ich würde das eher so sehen, wie es tendenziell auch in den USA oder im Vereinigten Königreich gesehen wird, dass es sich nämlich bei der Organisation von sozialer Hilfe um eine gesellschaftliche Aufgabe handelt und nicht primär um eine staatliche. Natürlich hat der Sozialstaat seine guten Seiten, allerdings ist er in meinen Augen zum Teil auch etwas ausgeufert. Ich habe da immer die Befürchtung des Paternalismus. Der Staat sollte seine Bürger zunächst einmal als freie Menschen betrachten, die in der Lage sind, ihre eigenen Probleme zu lösen und ihr Leben zu führen. Er sollte deshalb nur wirkliche Nothilfe leisten.

Und wie steht es mit der „Bewahrung der Schöpfung“?

Den Begriff der „Bewahrung der Schöpfung“ halte ich persönlich offen gesagt für schwierig. Schon die evangelischen Theologen Trutz Rendtorff und Wolfhart Pannenberg haben darauf hingewiesen, dass es sich dabei eigentlich um eine Aufgabe des Schöpfers handelt und nicht der Menschen. Das finde ich einen richtigen Gedanken: Es liegt nicht an uns, die Schöpfung zu bewahren. Vielmehr ist das eine Aufgabe, die der Mensch gar nicht erfüllen kann. Das heißt allerdings ganz und gar nicht, dass wir gegen eine vernünftige Umweltpolitik sind, im Gegenteil. Aber das sollte nicht religiös überhöht werden, sondern es ist schlicht und ergreifend in unserem eigenen Interesse, in einer gesunden Umwelt zu leben und alles dafür Nötige zu unternehmen.

Sollte sich die Kirche dann überhaupt selbst in politische Diskussionen einbringen?

Auch die Kirche kommt an Politik natürlich nicht vorbei. Von daher ist volle „Enthaltsamkeit“ sicher kein sinnvolles Vorhaben. Allerdings ist es meines Erachtens nicht gut, wenn die Kirche sich zu sehr mit einer politischen Seite identifiziert. Sie sollte sich eher als Raum verstehen, in dem Gegner miteinander sprechen und sich begegnen können. Da könnte sich die Kirche viel mehr ins Zeug legen, um verschiedene Seiten an einen Tisch zu bringen. Das Ziel müsste dabei sein, die Schärfe herauszunehmen und das gemeinsame Suchen nach dem Gemeinwohl in den Mittelpunkt zu stellen. Selbst zu allen möglichen politischen Fragen Position zu beziehen, ist dabei eher hinderlich, weil die Kirche sich damit als Moderatorin unglaubwürdig macht. Gerade auch auf lokaler Ebene könnte ihr aber auf diese Weise eine hilfreiche Rolle zukommen, wenn sie einen Raum zur Verfügung stellt, in dem nicht jeder das Gefühl hat, sich mit der eigenen Meinung direkt durchsetzen zu müssen. Und dann fällt es auch leichter, dem anderen zuzuhören.

Das Interview führte Jonas Hauschildt.

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