Rassismus in der Kirche Kolumne

Inwiefern ist die Evangelische Kirche in Deutschland eine rassismuskritische Organisation, die sich selbstkritisch mit ihrer Verstrickung in rassistische Machtverhältnisse und Denkstrukturen auseinandersetzt und für von Rassismus betroffene Menschen ein safer space?

Im Januar 2023 erschien erstmalig der Lagebericht „Rassismus in Deutschland“. Die Beauftragte der Bundesregierung für Antirassismus Reem Alabali-Radovan betonte in ihrem Vorwort, es bedürfe einer gesamtgesellschaftlichen Anstrengung, gegen Rassismus zu kämpfen und im Zuge dessen selbstkritisch den eigenen Alltag, Unternehmen oder auch den öffentlichen Dienst im Hinblick auf rassistische Praktiken zu prüfen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland ist von ihrem Selbstverständnis her antirassistisch. Umso irritierender ist es, dass die EKD bisher keinen einzigen profunden theologischen Grundlagentext zu Rassismus vorgelegt hat, sich eine rassismuskritische Theologie in Deutschland bisher nicht etablieren konnte und Rassismuskritik, Kritische Weißseinsforschung und Intersektionalität keine obligatorischen Bestandteile der kirchlich-theologischen Ausbildung sind. Handreichungen und Positionspapiere zu Rassismus, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus der verschiedenen Gliedkirchen scheitern daran, die Perspektiven von Menschen of Color einzubeziehen; nur weiß positionierte Autor*innen reflektieren, welcher gesellschaftliche bzw. kirchliche Umgang mit rassistischen (Sprech-)Handlungen angemessen sei und raten allzu häufig dazu, auch barmherzig mit den Menschen im Gespräch zu bleiben, die durch abwertende Äußerungen keine Barmherzigkeit zeigen. Wo werden hier PoC mitgedacht, die nicht das Privileg haben, als Unbetroffene über Rassismus zu sprechen und deren Würde durch menschenverachtendes Reden und Handeln tangiert wird?

Viele weiße Christ*innen empfinden es als eine massive Störung des eigenen Selbstbildes, sich mit dem eigenen rassistischen Wissen und rassistischer Sozialisierung auseinanderzusetzen. Auf Workshops zu Rassismus in den verschiedenen Landeskirchen erlebe ich wöchentlich, wie hauptamtliche Mitarbeiter*innen die strukturelle Etablierung von Rassismus leugnen, ein reduktionistisches Verständnis von Rassismus haben und verletzende Mikroaggressionen nicht erkennen.

Mir fehlt in der Kirche die Sensibilität dafür, was es bedeutet, als Mensch of Color ständig in „Alarmbereitschaft“ zu sein, permanent, sobald ich das Haus verlasse, darauf eingestellt zu sein, meine Identität und meine Würde verteidigen zu müssen. Es braucht eine Gesprächskultur zu Rassismus in der Kirche, ohne Skandalisierung, Abwehr, Schuldumkehr und Externalisierung. Es braucht eine breite kirchlich-theologische Auseinandersetzung hinsichtlich der Wirkweisen und der Überwindung von Rassismus, auch in den eigenen Strukturen.  Es braucht eine Kirche in der postmigrantischen Gesellschaft, die sich selbstkritisch mit ihrer Verstrickung in Rassismusverhältnisse befasst und die sich nicht nur radikal für diejenigen einsetzt, die täglich unter das Rad des Rassismus geraten, sondern die – in Anlehnung an Bonhoeffer – jederzeit kompromisslos dem Rad des Rassismus in die Speichen fällt.

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