Selbstbestimmtes Lernen in basisdemokratischen Strukturen Das Beispiel der demokratischen Schule Eynot Yarden in Israel

Alle wichtigen Entscheidungen in der demokratischen Schule Eynot Yarden trifft das Schulparlament. Eine Anwesenheitspflicht für die Schüler/innen gibt es ebenso wenig wie einen festen Stundenplan. Der reformpädagogische Ansatz setzt auf individuelle Förderung und selbstbestimmtes Lernen – eine Anfrage auch an die Lehrer/innen der Partnerschule in Deutschland.

Wenn die Teilnehmer/innen des Seminarkurses „Israel“ des Friedrich Schiller Gymnasiums in Marbach ihre Partnerschule Eynot Yarden im Norden Israels besuchen, kommen sie aus dem Staunen kaum noch heraus. Hier machen sie nicht nur in kultureller, sondern auch in pädagogischer Hinsicht eine völlig neue Erfahrung. Denn die Schule in Eynot Yarden ist nach den Prinzipien einer „Demokratischen Schule“ organisiert, wie sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Internationalen Konferenz über Demokratische Bildung“ vor nun fast zehn Jahren in Berlin in einer gemeinsamen Erklärung niedergelegt haben:

Wir glauben, dass – wo immer es um Bildung geht – junge Menschen das Recht haben, individuell zu entscheiden, was, wie, wo, wann und mit wem sie lernen, gleichberechtigt an Entscheidungen darüber beteiligt zu sein, wie ihre Organisationsformen – insbesondere ihre Schulen – geführt werden, ob Regeln und Sanktionen nötig sind und gegebenenfalls welche.

In Eynot Yarden sind diese Grundsätze in vielen Bereichen verwirklicht. Hier seien einige prägnante Aspekte aus der schulischen Praxis beschrieben, die die Besucher aus Deutschland – Schüler/innen wie Lehrer/innen – immer wieder aufs Neue frappieren.

Demokratie-lernen praktisch

Eynot Yarden bedeutet übersetzt Jordanquellen. Der Jordan fließt wenige Meter von der Schule entfernt vorbei und sorgt ganz praktisch dafür, dass das Schulgelände blüht und grünt. Ein botanisches Paradies, in das sich die dezentral gebauten Schulgebäude einfügen. Jede Schulklasse hat einen eigenen, kleinen Gebäudekomplex und zwischen den Blumenbeeten und Wiesen verteilen sich die Gebäude der Schule. Wie auf einem Campus finden sich Lehrerzimmer, Verwaltung, Mensa und Bibliothek für die knapp 400 Schülerinnen und Schüler. Ebenso sprudelnd und belebend wirkt die Schule mit ihrem demokratischen Selbstverständnis, ihrer pädagogischen Prägung und dem speziellen gesellschaftlichen Anspruch.

1. Das Schulparlament

Wöchentlich tagt das Schulparlament. Alle Mitglieder der Schule (ca. 500 Personen) sind teilnahmeberechtigt. Jedes Mitglied des Parlaments besitzt eine Stimme, unabhängig von Alter oder Status. Lehrende und Lernende diskutieren auf Augenhöhe und stimmen gemeinsam über z.B. die o.g. Grundprinzipien oder Projekte ab. Für manche Projekte ist es erforderlich, dass neue Lehrerinnen oder Lehrer eingestellt werden. Die Auswahl derselben und die Finanzierung der Projektstellen werden ebenfalls im Parlament beraten und beschlossen. Die konkrete Umsetzung aller Beschlüsse liegt in der Verantwortung aller Parlamentsmitglieder. Dadurch wird die Entwicklung von Eigenständigkeit und Verantwortungsbewusstsein der Lernenden für sich und die anderen Parlamentsmitglieder gefördert. Alle sind darin geübt, ihre Meinung zu formulieren, auf die Meinungen der anderen zu hören und sich dazu zu verhalten.

2. Lernen face to face

Jeder Schülerin und jedem Schüler steht eine Lehrerin oder ein Lehrer als Tutorin bzw. Tutor während der gesamten Schulzeit zur Seite. Wöchentliche Gespräche haben neben dem Lernfortschritt die persönliche Verfassung der Lernenden im Blick. Bei disziplinarischen Schwierigkeiten erörtern alle das Problem gemeinsam und suchen nach Lösungen zwischen allen Beteiligten. Strafen gibt es nur selten. Mit den Eltern stehen die Tutorinnen und Tutoren ebenfalls in regelmäßigem Kontakt.

3. Selbstverantwortetes Lernen

Ein besonderes Charakteristikum demokratischer Schulen ist die legere Handhabung der Anwesenheitspflicht im Unterricht. Abhängig von zu Schuljahresbeginn vereinbarten Regeln in den einzelnen Fächern, können die Lernenden frei entscheiden, ob sie am Unterricht teilnehmen oder nicht. Sie dürfen sich ohne ein bestimmtes Vorhaben frei auf dem Schulgelände bewegen und die Zeit verbringen, wie sie wollen, solange sie sich dabei an die gemeinschaftlich bestimmten Regeln halten. Verschiedene Lernzentren wie die Bibliothek, eine Radiostation oder ein Ökologieprojekt eröffnen Betätigungsbereiche und sind stets als Angebote zu verstehen.

Auch Prüfungsmodalitäten werden zu Beginn des Schuljahres im jeweiligen Fach vereinbart –  selten in Form von Klassenarbeiten, sondern im Verfassen von Texten oder dem Erstellen von Dokumentationen. Allein das Abitur geht auch in Eynot Yarden nicht ohne Prüfungen. Um zu bestehen, muss man in einem Zeitraum von drei Jahren eine bestimmte Anzahl von Punkten sammeln.

Der für die Schülerinnen und Schüler freie Zugang zu Lehrerzimmer und Rektorat ist selbstverständlich und macht in besonderem Maße den Anspruch von Offenheit und Gleichberechtigung sichtbar.

Lernen in einer Demokratischen Schule als Bekenntnis, Anfrage und Denkanstoß

Der Schüleraustausch zwischen dem Friedrich-Schiller-Gymnasium Marbach und der Demokratischen Schule Eynot Yarden (vgl. evangelische aspekte 1/2015) bietet viele bereichernde Aspekte für alle Beteiligten. Für die Lehrerkolleginnen und -kollegen aus Deutschland ist die Begegnung mit dem Ansatz der Demokratischen Schule anregend und bringt das eigene pädagogische, fachliche und politische Selbstverständnis in Bewegung.

Wie viele reformpädagogische Modelle wirft das Konzept von Eynot Yarden die Frage nach dem sinnvollen Maß an Freiheit in Lehr- und Lernprozessen auf. Das Bekenntnis zu einem basisdemokratischen Schulmodell stellt an jede Pädagogin und jeden Pädagogen die Frage nach dem Zeitbudget, das sie bzw. er der Mitbestimmung durch die Schülerinnen und Schüler widmet und wie weit sich ihre Lernwege und Interessen in die Schulorganisation und die Unterrichtsvorbereitung integrieren lassen.

Das Konzept von Eynot Yarden wirft die Frage nach dem sinnvollen Maß an Freiheit in Lehr- und Lernprozessen auf.

Aus dem Leitbild leitet sich die konkrete Anfrage an das Verhältnis aller an der Schule Beteiligen ab. Bedenkenswert und wohltuend wirkt die Begegnung aller auf Augenhöhe als hierarchiearmes, in weiten Teilen hierarchiefreies Miteinander. Damit einher geht die Aufhebung der Wertigkeit der einzelnen Fächer. Die Bedeutung der fachwissenschaftlichen Schwerpunkte wird mit jedem neu verhandelt und darf jedem individuell etwas anderes bedeuten.

Dazu gehört von Lehrerseite viel Freiheitsbereitschaft und die Fähigkeit, sich mit jeder Schülerin und jedem Schüler auf eine Entdeckungsreise zu ihren und seinen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen zu begeben. Respekt entsteht im wertschätzenden Miteinander und nicht durch Prüfungen und Zensuren.

Demokratisches Lernen entsteht in spannendem und auch mühsamem Ringen um Lern- und Lebensentwürfe von Menschen. Immer auf Augenhöhe und ohne Selbstverständlichkeiten – sprudelnd und belebend!

Was wir davon für unser Schulleben lernen und daraus übernehmen können, werde zu einer belebenden Herausforderung!


Leitbild der Schule Eynot Yarden

Die übergeordneten Prinzipien der Schule sind in ihrem Leitbild zusammengefasst:

  1. In der demokratischen Schulkultur verstehen sich alle Beteiligten als Partner.
  2. Das Schulparlament und seine Ausschüsse bestimmen die Schulpolitik, treffen Entscheidungen und sorgen für deren Durchsetzung.
  3. Die Beschlüsse des Parlaments gelten für alle Mitarbeiter und Schüler, haben Gesetzescharakter und sind für alle verpflichtend.
  4. Der kontinuierliche Dialog zwischen den Partnern der Schulgemeinschaft ist unverzichtbar und will gefördert sein.
  5. Die UN Menschenrechtskonvention ist konstitutionell für die Schule und gehört gleichermaßen zu den Lehrinhalten.
  6. Gleichheit, Freiheit und Geschwisterlichkeit sind Grundauffassung und Bildungsmaxime gleichermaß
  7. Die persönliche Betreuung ist ein wichtiges Element der pädagogischen Arbeit.
  8. Die Gesetze des Staates Israels und die Sicherheitsvorschriften gelten verbindlich.
  9. Eynot Yarden bekennt sich zum Ideal der humanistischen, jüdischen und kulturell vielfältigen Erziehung.
  10. Der pädagogische Ansatz ist geprägt von der Grundannahme der Verschiedenheit und arbeitet auf Solidarität und Toleranz hin.
  11. Wir alle verpflichten uns, auf den Erhalt und die Pflege des Schulgebäudes und Geländes zu achten.
  12. Wir alle verpflichten uns, auf eine grüne und einladende Umwelt zu achten.
  13. Wir alle verpflichten uns, uns würdig und kultiviert im Unterricht, in den Pausen, bei den Workshops und bei besonderen Anlässen zu verhalten.
  14. Eynot Yarden ist darum bemüht, jede Schülerin und jeden Schüler zu ermutigen, ihre bzw. seine Interessen und Fähigkeiten zu verwirklichen.
  15. Die Schule verpflichtet sich zu regelmäßiger Überprüfung der Umsetzung des Leitbilds. (Quelle: www.eynot.org.il)

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