Gescheiterter Einsatz mit schmählichem Ende Die Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes wird vom Ukraine-Krieg überlagert

Die Bundeswehr hat gemeinsam mit den beteiligten Streitkräften anderer Nationen im vergangenen Jahr den 20-jährigen Einsatz in Afghanistan beendet. Auch ein Jahr nach dem chaotischen Abzug sind noch viele Fragen offen.

Das todbringende Ereignis wird auch nach dem Ende des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr in schrecklicher Erinnerung bleiben. Gemeint ist das Karfreitagsgefecht im Jahr 2010. Damals gerieten Soldaten des Fallschirmjägerbataillons 373 aus Seedorf in einen Hinterhalt. Zwei Soldaten starben vor Ort, als ihr Fahrzeug auf eine Sprengfalle lief. Mit acht Schwerverletzten kämpften die eingeschlossenen Fallschirmjäger gegen die Taliban fast neun Stunden ums Überleben.

Die Last traumatisierender Erfahrungen

Hauptmann Uwe S. erinnert sich daran, dass dies ein einschneidendes Erlebnis war, „weil wir zum ersten Mal richtig viele Tote hatten“. Kritisch sieht er, dass dann erst nachgedacht worden sei, wie man mit den Soldaten überhaupt umgehen solle und dass die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung für die Betroffenen viel zu schwer war.

Nach dem gescheiterten Afghanistan-Einsatz und dem schmählichen Abzug der ausländischen Truppen stößt es manchem bitter auf, dass so viele Soldaten sterben mussten. Mancher sieht ihren Tod als sinnlos an, weil am Ende all die Ziele, die sich die westliche Gemeinschaft gesetzt hat, verfehlt worden sind. Der Aufbau einer wenigstens in Grundzügen demokratischen Gesellschaft ist gescheitert, die Taliban sind an die Macht zurückgekehrt und regieren das Land mit strenger Hand.

Unter den Zurückgekehrten sind Traumatisierte, die Schlafprobleme haben und Medikamente brauchen. Auch Angehörige stellen sich die Sinnfrage. Dass die Taliban so schnell die Macht übernehmen konnten, macht fassungslos. Auch dass Ortskräfte getötet worden sind, weil sie Kontakt zu den Deutschen hatten, ist ein traumatisches Erlebnis.

Von der Politik im Stich gelassen

Pfarrer Artur Wagner, Militärdekan der katholischen Militärseelsorge in Süddeutschland, der zuständig ist für Bayern und Baden-Württemberg, ist erleichtert, dass Traumatisierungen im Gegensatz zu früher ernst genommen werden. Der Pfarrer, der seit dreizehn Jahren in der Militärseelsorge ist, weist darauf hin, dass Soldatinnen und Soldaten auch auf die Möglichkeit des eigenen Todes vorbereitet werden sollte. „Ich versuche immer, diese Dimension anzusprechen und deutlich zu machen, dass man selbst auch verstümmelt zurückkommen könnte und Freunde und Kameraden sterben könnten“, so der Theologe. Er räumt ein, dass es bei solchen Themen auch zu Tränen komme und seelsorgerliche Gespräche nötig seien. Als Militärseelsorger sieht sich Wagner als Begleiter. Es gehe dabei jedoch nicht darum, zum Kampf zu motivieren, sondern um Unterstützung im Beruf sowie im Familienleben, stellt er klar.

Es war schon lange abzusehen, dass die politischen Ziele nicht zu erreichen waren.

Wenn sich Wagner auch nicht politisch äußern darf, so macht er bei Vorträgen keinen Hehl daraus, dass er den Grund für das Scheitern in Afghanistan im Versagen der Politik sieht. Nie habe man eine klare Entscheidung getroffen. Dabei sei schon lange abzusehen gewesen, dass die politischen Ziele nie erreicht werden konnten und die Truppen immer mehr unter Druck gerieten. Er weist darauf hin, dass die Militärseelsorge, die auch bei Auslandseinsätzen vertreten ist, schon rechtzeitig vor dem chaotischen Abzug alle Leute ausgeflogen habe, auch die Ortskräfte, die sie als Koch oder Reinigungskraft beschäftigt hatte. Für diese seien Asylanträge gestellt worden. Der Einsatz hätte nach Wagners Einschätzung nicht so chaotisch enden müssen.

Begleitung durch die Militärseelsorge

Anders als in anderen Ländern, haben Pfarrer als Militärgeistliche in Deutschland den Status von Zivilisten, unterliegen keinen Anweisungen der Bundeswehr und müssen auch nicht eine militärische Grundausbildung durchlaufen. Sie haben den Auftrag, einen Beitrag zur seelsorgerischen Betreuung von Soldatinnen und Soldaten sowie ihrer Familien zu leisten. Es gibt die evangelische, katholische und jüdische Militärseelsorge. Insgesamt sind rund 200 Militärseelsorger in Deutschland tätig. Militärdekan Wagner freut sich, dass es auch zwei Militärseelsorgerinnen in seinem Bereich gibt, die jedoch anders als ihre männlichen Kollegen keine Eucharistie feiern dürfen. Eine Einschränkung, die nach Wagners Ansicht nicht mehr nötig wäre, genauso wenig wie die strenge Hierarchie in der katholischen Kirche.

Sorgenvoll blicken viele momentan auf den Ukrainekrieg. Die Beunruhigung in der Truppe ist nach Einschätzung Wagners seit Beginn des russischen Truppenaufmarsches deutlich zu spüren, zumal auch deutsche Soldaten im Osten der EU im Einsatz sind. Dass ein Krieg in Europa wieder möglich ist, hat der Überfall Russlands auf die Ukraine deutlich gemacht. Soldatinnen und Soldaten bekräftigen, dass für sie die Militärseelsorge angesichts von Konflikten ein wichtiger Orientierungspunkt ist aufgrund der Möglichkeit, Gespräche zu führen über die eigene Befindlichkeit.

„Warum das Gute, das man wollte, nicht vollbracht werden konnte“

Am Urteil des evangelischen Militärbischofs Bernhard Felmberg schwingt im Hinblick auf den Afghanistan-Einsatz reichlich Skepsis mit: „Die Sinnhaftigkeit, in zwanzig Jahren eine gewisse Freiheit erlangt zu haben“, bleibe zwar, sagt er. „Aber es ist natürlich erschreckend und dramatisch, wie schnell diese Freiheitsräume, die mit viel Blutvergießen und Kraftaufwand hergestellt wurden, jetzt wieder zusammengebrochen sind“.

Weil der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan viele Menschenleben gekostet hat und auch sehr teuer war, drängte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) nach dem Ende der Mission 2021 auf eine unabhängige Untersuchung. Es müsse die Frage gestellt und beantwortet werden, warum das Gute, das man gewollt habe, nicht habe vollbracht werden können, sagte der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei Bundesregierung und Bundestag, Martin Dutzmann.

Ihm sei schon bei seinem Besuch in Afghanistan im Jahr 2009 von Soldatinnen und Soldaten gesagt worden, dass sie sich über das Ziel ihres Einsatzes nicht im Klaren gewesen seien. Dutzmann betonte, dass im Rahmen des Einsatzes andererseits auch Gutes geschehen sei in Afghanistan. Auch der frühere Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe (SPD) forderte eine Aufarbeitung. Die Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes und nach politischen Fehlentscheidungen müssten gestellt und beantwortet werden. Die Bundesrepublik trägt nach seiner Einschätzung auch weiterhin Verantwortung für das geschundene Land, das eine bessere Zukunft verdient habe.

Ausstehende Aufarbeitung

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hatte eine Aufarbeitung des Einsatzes durch das Parlament versprochen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat im Juli 2022 im Bundestag seine Arbeit aufgenommen. Er hat die Aufgabe, zahlreiche Fragen zu klären. Wie konnte es soweit kommen? Wie gelang den militant-islamistischen Taliban die Machtübernahme so schnell? Und warum war die deutsche Regierung so schlecht darauf vorbereitet? Damit wird sich der Ausschuss in den kommenden Monaten befassen. Dabei wird es auch um die Frage gehen, warum die Bundesregierung afghanische Ortskräfte, die für deutsche Organisationen tätig waren, nicht früher ausflog.

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