Heiliger Geist Eine theologische Betrachtung

Wie, wenn es uns gelänge, die erste Morgenstunde von Eile, von Lärm und Ärger freizuhalten: Für die Sprache Gottes und seinen neu machenden, schöpferischen Geist. Die großen Meister empfehlen immer wieder: Nimm den Anfang des Tages wahr, er ist die Stelle, an der du die Ewigkeit berührst.

Und Gott blies dem Menschen seinen Odem in die Nase, so wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ Nach der hebräischen Schöpfungserzählung ist es der Geist, der den Menschen zum atmenden und kreativen Lebewesen macht. Dann rührt sich seine Tätigkeit, in geistiger Lebendigkeit erschafft er Welten, plant Pläne, gestaltet seine Umwelt und sein Leben. Er animiert (sich) zu Höhenflügen, ersinnt Lösungen, wo sich Probleme einstellen. Wird tätig in Kunst, Politik und wirtschaftlichem Tun.

Der Mensch neigt allerdings dazu, auch Unheil anzurichten. Er baut nicht nur. Er macht auch nieder: Wie es den guten lebensfreundlichen Geist gibt, so auch Ungeist, der schlecht ist und schlecht macht. Wie sich der gute, heilige Geist Gottes kultivieren lässt, der weniger gute Ungeist aber reduzieren, darüber soll im Folgenden nachgedacht werden.

Vom Ruhen des Geistes

Immer wieder lesen wir in biblischen Texten, dass der Geist Gottes auf einer Person „ruhte“. Während es manchmal als zeitlich vorübergehend beschrieben ist, kann es auch dauerhaft sein bei besonders herausgehobenen Gestalten. Im Neuen Testament heißt es, dass bei der Taufe der Heilige Geist auf die Getauften gelegt, (bzw. an anderen Stellen) „ausgegossen“ wird. Mit göttlichem Geist ausgestattet soll der Mensch sein Tagewerk bestehen. Ebenso die gesamte Schöpfung: Dann regt sich der Luchs in der Steppe, die Kraniche vollführen am Himmel weite Schleifen, Schiffe ziehen über die Ozeane mit ihren Handelsgütern und politischen Gesandtschaften, wissensdurstigen Gelehrten oder neugierigen Weltentdeckern an Bord.

Der menschliche Geist drängt unablässig hinaus. Immer weiter. Ins Ferne. Geist hat mit Wissen und Weisheit, mit Erkenntnis, mit energiegeladenem, kraftvollem Wirken zu tun. Heißt es nicht schon im Anfang von der Schöpfung: Der Geist Gottes schwebte über dem Wasser (Gen 1,2). Anders übersetzt: Der Geist ruhte über der Chaos- und der Lebens-Flut. Der Geist als Schöpferkraft.

Wir merken, Geist hat Bedeutung. Menschlicher Geist ist zu vielem fähig. Davon wissen nicht nur Geisteswissenschaftler zu berichten; wenn sie die vielerlei Sprachen, Kulturen, ihre Gesellschaftsordnungen und kollektiven Gedächtnisse erkunden. Bei einem Blick in die Geistesgeschichte staunen wir, zu welchen Hochleistungen, zu Außergewöhnlichem oder ganz Alltäglichem Menschen in der Lage sind. Jeder Mensch hat mindestens eine besondere Begabung. Sei es Bescheidenheit. Geduld. Vielleicht Lebensklugheit. (Da sind es schon drei…) Diese individuellen Begabungen zu finden, zu erkennen, zu fördern und zu pflegen, ist nicht das Geringste, was man einem Menschen und einem Gemeinwesen zum Wohle aller wünschen kann.

Auch darin geht es um eine Art von Selbsterkenntnis…! In klassischer kirchlicher Sprache formuliert: Was meine Berufung sei. Also nicht nur allgemein zu wissen, was Sinn und Ziel des Menschseins, was allgemein die Bestimmung des Menschen ist. Sondern auch sagen zu können: welche meine oder deine.

Die Antwort fällt, wir ahnen schon, sehr unterschiedlich aus. Es gibt eben „Sottiche und Sottiche“ (Solche und Solche), wie der Volksmund sagt – etwas gehobener: Ein jeder nach seinem ihm zugeteilten Maß. Bin ich für Diakonie und Caritas begabt? Sehe ich meinen Weg in wissenschaftlicher Forschung und Lehre? Kann ich Verantwortung übernehmen in einem Unternehmen oder in einem politischen Amt? Was individuell und persönlich die zutreffende Antwort ist, steht selten plakativ schon über der Wiege geschrieben, sondern will stückweise, manchmal mit Abkürzungen, und – öfter – nach etlichen Umwegen herausgefunden sein. Der (göttliche) Geist ist es, der hier zur rechten Erkenntnis anleiten will und soll. Der Geist will ein verlässlicher Begleiter in allen Fragen sein. Und steht es auch nicht über der Wiege, so ist das doch mit der Taufe gesagt.

Vom Reden des Geistes

Wie ist das gemeint? Zunächst, mit dem Taufvorgang wird dem Täufling in höherem Auftrag auf den Kopf zugesagt: Du bist bei Gott wertgeschätzt, von ihm gesehen und geachtet, und sein Mitgehen und Bei-Dir-Sein wird Dir versprochen. „Brauchst keine Angst zu haben“, „Fürchte dich nicht“: Gott ist ein Menschenfreund. Selbst „wenn Berge oder Hügel fallen“, selbst „falls Himmel und Erde vergehen“, seine menschenfreundliche Güte bleibt. Diese Zusage „ruht“ fortan auf dem Getauften.

Nun gibt es manche, die davon wenig in ihrem weiteren Leben erkennen oder spüren lassen. Andere kommen gerne immer wieder lebensgeschichtlich darauf zurück. Mal indirekt, kaum ausgesprochen. Mal mit klarem Bezug. Wie auch immer: Jenen Startpunkt bildete die Taufe und die dabei vollzogene, „ausgegossene“, verliehene Mit-Gabe des Geistes Gottes.

Gespenster verjagen

Und dieser Gottes-Geist kennt eben viele Gaben und Begabungen, Berufe und Berufungen, im Staatswesen, Ökonomie, Kultur und Sport, selbst im Freizeitwesen, und auch im Kirchendienst. Die sich gegenseitig gut ergänzen können. Im Zusammenspiel der unterschiedlichen Fähigkeiten und Talente, auch ihrer Wertschätzung, entsteht ein Miteinander, das ein gedeihliches Zusammenleben möglich macht. Störrischer Ungeist, der nur Verwirrung stiftet, auf Abwege führt und schadet, kann dann vermieden, zumindest in seine Grenzen verwiesen werden. Man muss bei diesem Idealbild einer auf symbiotischen Gabenaustausch angelegten Gemeinschaft nicht gleich an ein Schlaraffenland denken, wo einem die feinsten Annehmlichkeiten gewissermaßen nur so zufliegen. Aber ein harmonisches Gesellschafts-Wesen, in dem zumindest äußerlich ein friedliches Auskommen miteinander möglich ist, scheint selbst auf dieser Erden, wie sie nun einmal ist, realisierbar und erstrebenswert.

Das Wirken des Geistes

Jetzt wissen wir also, dass es viele besondere (Geistes-)Gaben gibt, finden uns in dieser oder jener Lebenssituation vor, haben nun ein gutes, schönes Ziel vor Augen: Fehlt dazu nur noch das Gelingen.

Und auch dabei noch ist uns der göttliche Geist allzu gern behilflich. Denn das richtige Maß zu finden, die richtige Entscheidung fällen, auch im Alltag, das geht eben auch nur in und mit dem „richtigen Geist“. Wie sollte auch der Mensch in dem Gewirr der Stimmen, Möglichkeiten und Optionen diejenige erkennen und entdecken, die jetzt die beste ist? „Regiere mich durch Deinen Geist“, „mach in mir Deinem Geiste Raum“ – die dichterischen Zeilen, die von der Abhängigkeit von und grundlegenden Angewiesenheit auf Gottes geisterfüllten Wink zum rechten Zeitpunkt wissen, sind in kirchlichen Mentalitäten tief verwurzelt.

Geist und Erkenntnis hängen eng zusammen. Der Mensch lebt sodann in redlicher Anerkenntnis, von diesem helfenden, Gelingen schenkenden Geist schlechthin abhängig zu sein; auf diesen neu machenden Geist immer neu angewiesen zu bleiben. Noch eine Form der Selbsterkenntnis…! Wie nicht zuletzt im Morgengrauen deutlich werden kann.

Der Morgen

Zu den literarischen Zitaten, die ihren Weg in das Evangelische Gesangbuch gefunden haben, zählt die Erinnerung an die Bedeutung der Morgenstille. „Die großen Meister der Meditation und des geistlichen Lebens weisen uns immer wieder auf die erste Morgenstunde hin und sagen: Nimm den Anfang des Tages wahr, er ist die Stelle, an der du die Ewigkeit berührst.“ Wie, „wenn es uns gelänge, die erste Morgenröte von Eile, von Lärm und Ärger freizuhalten…“

Ähnlich empfiehlt Dietrich Bonhoeffer, sich die Morgenzeit bewusst für die Stimme Gottes, seine richtungsweisende Inspiration, freizuhalten. „Beim Erwachen vertreiben wir die finsteren Gestalten der Nacht und die wirren Träume … Böse Launen, unbeherrschte Stimmungen und Wünsche, die wir am Tag nicht mehr loswerden, sind oft genug Nachtgespenster, die nicht beizeiten verjagt worden sind“ (in einer Predigt 1935). Der Morgen ist die Zeit für Gottes schöpferische Initiative und sein mutmachendes Wort.

Geist und Erkenntnis

Aus frühen evangelischen Gemeinden und z.B. aus Wittenberg wissen wir, dass jeden Morgen in aller Herrgotts-Frühe zwei volle Stunden reserviert waren für das Hören auf das Schriftzeugnis und die Beschäftigung mit theologischer Schriftbetrachtung. Noch einmal Bonhoeffer: „Jeder neue Morgen ist ein neuer Anfang unseres Lebens. Jeder Tag ist ein abgeschlossenes Ganzes. Der heutige Tag ist die Grenze unseres Sorgens und Mühens… Er ist lang genug, um Gott zu finden oder zu verlieren.“ „Darum schuf Gott Tag und Nacht, damit wir nicht im Grenzenlosen wanderten, sondern am Morgen schon das Ziel des Abends vor uns sähen… Die alte Treue Gottes allmorgendlich neu zu fassen, mitten in einem Leben mit Gott täglich ein neues Leben mit ihm beginnen zu dürfen, das ist das Geschenk, das Gott uns mit jedem Morgen macht.“ Eine tägliche Erinnerung an den uranfänglichen Schöpfungsmorgen. – Doch ist es wirklich nur die Schöpfungstheologie, in der von Gottes Geist die Rede ist?

Wort und Geist

„Ich glaube an den Heiligen Geist“, heißt es ausdrücklich im 3. Artikel, der von der kirchenweiten Gemeinschaft handelt. Wir glauben an den Geist Gottes, „der Herr ist und lebendig macht“, ist an anderer Stelle ergänzt. Manchen klingt das vielleicht nach hoher Dogmatik, aber auch die Evangelien, die johanneische Theologie, die Pastoralbriefe, sowie Paulus in seinen Schreiben können den Geist in seinen vielseitigen Wirkungen und Bedeutungen kaum hoch genug preisen. So im 2. Kapitel im 1. Korintherbrief. Sein Mysterium hat uns Gott, schreibt Paulus in Vers 10, „durch seinen Geist“ enthüllt. Ist es doch auch beim Menschen so, dass nur der Geist weiß, was in einem Menschen ist. So ist es auch bei Gott der Geist, der in das Innere seines Wesens führt. „Niemand kennt Gott als der Geist Gottes.“ (vgl. Verse 10-12) Diesem guten Geist die erste Morgenstunde einzuräumen, um rechtzeitig so manchen Ungeist zu vertreiben, kann eigentlich eine vielversprechende Angelegenheit sein.

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