Quo vadis Frauenarbeit? Kirchliche Frauenarbeit gestern, heute und morgen

In welche Richtung könnte kirchliche Frauenarbeit gehen? Auf diese Frage antwortet eine Kirchenhistorikerin. Denn: Wir können durchaus davon lernen, was bisher an Frauenarbeit geleistet wurde, und uns daran orientieren, wohin es weiter gehen könnte.

Wurzeln der Frauenarbeit

Die heutige Arbeit an Frauen – in Analogie bspw. zum Begriff Kinderarbeit als Arbeit an Kindern – hat ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Sowohl angesichts der Suche nach Bewältigung sozialer Notlagen im Deutschen Kaiserreich als auch im Zusammenhang mit der sich immer stärker organisierenden Frauenbewegung formierten sich um die Jahrhundertwende auch evangelische Frauenorganisationen. Dabei waren – z.B. für den Deutsch-Evangelischen Frauenbund – sowohl religiös verstandene „Sittlichkeit“ als auch politisches Engagement Zusammenschluss- und Arbeitsmotivation. In diesem gesellschaftlichen Kontext, in dem Frausein umfassend zum Thema wurde und sich z.B. auch für Frauen mit dem Immatrikulationsrecht zwischen 1900 und 1908 neue Optionen eröffneten, wuchs auch die kirchliche Frauenarbeit.

Von der Mütterarbeit zur Familienarbeit

Einen Großteil der Arbeit markierte die Arbeit an Müttern. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden Müttergenesungswerke, die erschöpfte Mütter stärken sollten. Mütterschulen sollten vermitteln, wie Muttersein – in evangelischer Perspektive, d.h. mit geistlicher Praxis und auf biblischer Grundlage – gehen sollte. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Zuge der Gleichschaltungsmaßnahmen war auch der evangelische Mütterdienst Mit-Transporteurin nationalsozialistischer Vorstellungen von „Reinheit“ und Frau- hier vor allem Muttersein. Spezifisch kirchliche Inhalte waren ausgelagert auf Rüstzeiten.

Während des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit füllten Frauen Positionen der (zeitweise) abwesenden Männer aus. Kirchliche Frauenarbeit wurde dann Teil der Strategie einer „Rechristianisierung“, worunter auch eine Retraditionalisierung von Geschlechterrollen verstanden wurde. In der Bundesrepublik wurde die Hausfrauenehe Lebensideal und fand erneut von der kirchlichen Frauenarbeit Unterstützung. Zeitgleich wurde 1948 der Weltgebetstag der Frauen fester Bestandteil der kirchlichen Frauenarbeit und ist auch heute noch ein markantes Arbeitsfeld, das angesichts der Kriegslage im Nahen Osten und dem Material von palästinensischen Frauen 2024 besonderen Herausforderungen unterliegt. Liberalisierungs- und Individualisierungstendenzen in der Frauenarbeit, aber auch feministisch-theologische Aufbrüche in der Kirche insgesamt sind mit den 1970er und noch mehr den 1980er Jahren verbunden. Aus Mütter- wurde Familienarbeit; Frauenarbeit richtete sich nun an Frauen, deren Biografien in ihrer Verschiedenheit immer mehr Wertschätzung fanden.

Der kurze historische Rückblick zeigt: Kirchliche Frauenarbeit steht in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Veränderungen. Sie nahm zeitgenössische Anfragen auf und fand teils spiritualisierende, teils normierende und teils pragmatisch-praktische Antworten und Arbeitsformen. Evangelische Frauenarbeit steht dabei in einem Zwischenraum zwischen biblisch-theologischen Perspektiven auf Lebensvollzüge und den sie umgebenden Lebensverhältnissen. Es wird auch weiterhin der gesellschaftliche Rahmen Handlungsoptionen und -motive beeinflussen.

Wie soll es weitergehen?

Die Zukunft der kirchlichen Frauenarbeit wurde massiv von den Einsparplänen der EKD-Synode vom November 2020 infrage gestellt. Die Formate, in denen Frauenarbeit aktuell Angebote schafft, reichen von Auszeiten über Bibelarbeit-Werkstätten, von Frauenmahlen bis zu Diskussionsveranstaltungen. Frauenarbeit differenziert sich holzschnittartig in spirituelle, Bildungs-, Gemeinschafts- und Entspannungsveranstaltungen, wobei die Bereiche einander jeweils überlagern können. Jetzt stellt sich die Frage, in welcher Weise diese Arbeitsfelder in die heutige Zeit „passen“.

Auf der Suche nach dem guten Leben für „mich“.

Zunächst fällt auf: Es sind ähnliche Bereiche, die auch schon vorher bedient wurden, wenngleich auch das normierende Moment einem Bildungsprozess und der Anleitung für Selbstbildung gewichen ist. In der „Gesellschaft der Singularitäten“ (Reckwitz) macht also die Suche nach Besonderheitsmerkmalen auch vor der Frauenarbeit nicht Halt. Teil des im Kontext der Individualisierung entwickelten Paradigmas ist aber auch die Suche nach dem guten Leben für „mich“ – für das Individuum und je nach Verständnis damit auch für (Geschlechts-)Genoss*innen, Nächste, Familie, Partner*innen. Wie für kirchliche Arbeit insgesamt, aber auch insbesondere in der Frauenarbeit, liegt hier eigentlich die Chance: Dass individuelle Lebensvollzüge und -bewältigung so hochgeschätzt werden, lädt auch dazu ein, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Dabei mag es eine Form sein, Lebensumgangsweisen anderer zu betrachten und Adaptationsoptionen zu erwägen. Ich nehme aber an, dass dafür der Vermittlungsrahmen anders als früher zu gestalten ist.

Das Potenzial: digitale Räume

Was meines Erachtens noch nicht ausreichend genutzt wird, ist das Potenzial digitaler Räume. Zwar finden Bildungsarbeiten online statt. Aber wie sieht es mit den anderen Feldern aus? Gerade läuft eine Art von kirchlicher Frauenarbeit schon längst digital ab, die sich nicht als solche versteht, aber enorme Breitenwirkung hat. Das ist z.B. @seligkeitsdinge auf Instagram, die mit ihren Einblicken in ihrer Pastorinnen- und Mama-Alltag, ihren spirituellen und nachdenklichen Angeboten Räume schafft, in denen sich nicht nur, aber auch viele Frauen wiederfinden und teilweise mit ihren Erfahrungen identifizieren. Während der Zeit stärkerer sozialer Einschränkung gründete sich 2020 das Feministische Andachtskollektiv und brachte feministische Spiritualität auf Instagram tausenden Follower*innen. Dass auch der YouTube-Kanal vom lesbischen Pfarrehepaar Anders Amen so gut läuft, hängt auch damit zusammen, wie deutlich Steffi und Ellen ihre Lebensverständnis- und Bewältigungsversuche teilen. Und für mich als „junge“ Mutter (30) sind Fragestellungen von Kinderbetreuung und Kinderkrankheiten und Betreuungsausfällen immer unmittelbar „relatable“. Das sind sie für alle, die Care-Arbeit tatsächlich ausüben. Und da bricht schon etwas auf von dem, was ich meine, was bei Frauenarbeit zukünftig stärker zu betonen ist:

Expertise für marginalisierte Gruppen

Frauen sind alle, die sich als Frauen identifizieren. Sicherlich ist auch meine Gebärerfahrung entscheidend für mein Leben, aber deswegen spreche ich anderen Frauen nicht ihr Frausein ab, nur weil sie kein Kind geboren haben oder gebären könnten. „Frauenarbeit“ hat dann eine Art Überlebenschance, wenn die Expertise, die sie für Frauen als größte marginalisierte Gruppe entwickelt hat, ausweitet auf andere Unterdrückte. So muss – wie schon in der Hannoverschen Landeskirche mit der Umbenennung in Evangelische Frauen* geschehen – ein Weg gefunden werden, um Queersensibilität Ausdruck zu verleihen und im Angebot stärker mit Konkretion und Leben zu füllen.

„Frauenarbeit“ hat eine Überlebenschance, wenn sie sich ausweitet auf andere Unterdrückte.

Um Diskriminierungsmechanismen aufzudecken, sind intersektionale Perspektiven (Crenshaw) notwendig. Menschen sind von verschiedenen Ebenen von Diskriminierung betroffen oder privilegiert. Auch in der Frauenbewegung sind die Erfahrungen Schwarzer Frauen nicht wahrgenommen und Dynamiken des Zusammenspiels von rassistischer und sexistischer Diskriminierung ignoriert worden. Das trifft auch auf die evangelische Frauenarbeit zu. Hier muss Selbstbildung starten oder weitergehen und Safe Spaces für BIPoC (Black Indigenous People of Colour) und FLINTA* (Frauen, Lesben, Inter*-, Non-binary-, Trans*-, Agender*-Personen) (weiter)entwickelt werden. Das stellt auch die Frage daran, wer Frauen*arbeit anbietet oder wer zu Veranstaltungen als Referierende und Teilnehmende eingeladen werden. Daran schließt sich unmittelbar die Frage nach Quotierung und Selbstrücknahme bisheriger Akteur*innen an.

Denn das ist die gesellschaftliche Realität, die die Kirche bis jetzt noch nicht vollends aufgefasst hat: Die Gesellschaft ist heterogener und ausdifferenzierter. Dafür muss auch kirchliche Frauen*arbeit Austausch- und Zusammenlebensräume schaffen und ihre Expertise für die Position Marginalisierter erweitern und verbreitern!

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