Städtereisen mit lohnendem Ziel Auf den Spuren jüdischen Lebens in Deutschland

Die Klimakrise hat keine Auswirkungen auf die Reiselust der Deutschen. Experten erwarten aber eine höhere Bereitschaft zu Kompensationszahlungen. Eine Alternative zu Flugreisen sind Reisen in deutsche Städte. Mancherorts kann man dabei dem jüdischen Leben vor Ort auf die Spur kommen.

Jedes Jahr belegt die Urlaubsmesse CMT in Stuttgart eindrucksvoll aufs Neue den hohen Stellenwert, den Urlaubsreisen für die Deutschen haben. Die weltweit größte Publikumsmesse für Tourismus und Freizeit konnte in diesem Jahr schon am Auftaktwochenende mit 90.000 Gästen einen Rekord verzeichnen. Aufgrund vorläufiger Daten stieg die Zahl der Urlaubsreisen 2019 um ein Prozent. Die Vorlieben bei den Reisezielen werden auch 2020 gleich bleiben: innerdeutsche Ziele, gefolgt von Spanien, Italien, der Türkei und Österreich.

Nur bei einem geringen Teil der Urlauber spielt nach Angaben von Professor Martin Lohmann von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) der Aspekt der Nachhaltigkeit bislang bei der Reiseplanung eine Rolle. Lohmann weist darauf hin, dass 2019 der Begriff der „Flugscham“ neu hinzugekommen sei. Immerhin berichten 73 Prozent der Flugreisenden, wegen der Klimabelastung ein schlechtes Gewissen zu haben. Nur 27 Prozent teilen dieses Gefühl nicht. Offenbar gebe es hier einen Wertewandel, meint der Wissenschaftler. Er erwartet jedoch keinen Rückgang der Flugreisen, aber eine höhere Bereitschaft zu Kompensationszahlungen (z.B. über www.klimakollekte.de).

Partnerland der CMT war in diesem Jahr Montenegro, das mit viel Natur punktet. Dazu gehören 15 Kilometer Sandstrand, eine Saline, in der 150 Vogelarten rasten, fünf Nationalparks, die tiefste Schlucht Europas sowie die grandiose Bucht von Kotor. Wer nicht fliegen will, findet eine reiche Auswahl an Zielen im eigenen Land. So präsentierte sich Baden-Württemberg als Genießerland und Heilbäderland Nummer 1 in Deutschland. Der Schwarzwald führt ein neues Konzept zur Rettung des Dorfgasthauses ein und Städte warten mit interessanten Themenschwerpunkten auf.

Jüdisches Leben in deutschen Städten

Dazu gehört auch das jüdische Leben. Dessen reichhaltige Spuren kann man auf historischen Rundgängen und in Ausstellungen nachvollziehen. Und dass es nach dem Holocaust wieder jüdische Gemeinden gibt, zeigt sich nicht zuletzt an den eindrucksvollen Synagogen in München, Ulm, Stuttgart oder auch Berlin.

Besucher von Hamburg finden zum Beispiel unter www.kulturreise-ideen.de eine Tour durch die Hansestadt mit 24 Stationen, die Auskunft über die Geschichte der Juden gibt. Dies reicht von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme über jüdische Friedhöfe bis zum einstigen Gartenhaus des Bankiers Salomon Heine, einem Onkel des Dichters Heinrich Heine. In Berlin vermittelt das Jüdische Museum historisches Wissen. Es gibt auch viele koschere Restaurants, die Städtereisende besuchen können.

In Stuttgart veranstaltet der Stadtjugendring regelmäßig Rundfahrten zum Thema Jüdisches Leben. Informationen erhalten Besucher aber auch in der Innenstadt. Während der NS-Zeit wurden Juden in die berüchtigte Gestapo-Zentrale gebracht, die im inzwischen zum Museum ausgebauten Hotel Silber am Charlottenplatz untergebracht war, oder ins Polizeigefängnis im heutigen Hospitalhof in der Büchsenstraße, wo eine Tafel an das Leid der Verfolgten erinnert. Der Druck sollte die Juden zur Auswanderung zwingen. Diese gelang mehr als der Hälfte der Stuttgarter Juden, die so dem ab 1941 anlaufenden Abtransport in die Vernichtungslager entgingen.

Zwei Stolpersteine erinnern daran, dass am Ostendplatz vor knapp 80 Jahren der jüdische Arzt Jakob Holzinger und seine Frau Selma Selbstmord begingen. Das jahrzehntelang von den Nachbarn geschätzte und sehr sozial eingestellte Ehepaar sah keinen anderen Ausweg als den Freitod, um dem Zugriff der Nazis zu entkommen.

Die Blütezeit jüdischen Lebens in Stuttgart umfasste das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts und ging bis in die 20er Jahre. Im Jahr 1932 lebten knapp 4.500 Juden in Stuttgart, das waren gerade mal ein Prozent der Bevölkerung. Sie unterschieden sich kaum von ihrem Umfeld, hatten sich angepasst und integriert, waren als überzeugte Patrioten in den Ersten Weltkrieg gezogen. Interreligiöse Heiraten waren üblich. Am deutlichsten zeigten sich die Unterschiede in der Berufsstruktur. Überproportional viele Ärzte und Anwälte und Selbstständige waren unter der jüdischen Bevölkerung. Frauen wählten vor allem den Beruf der Krankenschwester. Viele Unternehmer waren in der Textilbranche tätig.

Gleich nach dem Krieg begann jüdisches Gemeindeleben wieder in Stuttgart. Die Synagoge wurde wieder aufgebaut. Die Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) zählt heute rund 2.900 Mitglieder. Jedes Jahr veranstaltet sie die Jüdischen Kulturwochen.

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